Teil I des Beitrags zur Appropriation Art erschien am 16.11.2015 und befasste sich mit einer kurzen Definition dieser Kunstform sowie der Würdigung der Rechtsinformation nach Wikipedia. Heute betrachte ich nun diese Kunstform unter dem Aspekt des Schweizer Urheberrechts.
Grundsätzlich empfiehlt es sich immer bei der Verwendung fremder Arbeitsergebnisse – wozu auch Kunstwerke zur Schaffung neuer Kunstwerke gehören –, die (schriftliche) Einwilligung des Berechtigten einzuholen. Dies erleichtert die Beweislage im Streifall natürlich ungemein. Sofern der Künstler es allerdings tatsächlich schafft, aus vorhandenem, urheberrechtlich geschützten Material ein neuartiges Werk zu erschaffen und somit eigenständiges Werk zu kreieren, erlangt er automatisch und originär selbst alle damit verbundenen Urheberrechte. Die Einwilligung ist in diesem Fall nicht nötig.
Die Krux bei Kunstformen wie der Appropriation Art liegt allerdings genau darin, dass nur im Streitfall eruiert wird, ob es sich beim neu geschaffenen Kunstwerk tatsächlich um ein Werk im Sinne des Urheberrechts handelt – und ob demzufolge keine Einwilligung nötig ist, oder nicht. Bei einer auf Aneignung basierenden Kunstform wie der Appropriation Art bleibt der Werkcharakter deshalb wohl zunächst immer diskutabel. Doch wann genau erlangt ein Werk überhaupt Urheberrechtsschutz?
Um Schutz zu erlangen muss ein Kunstwerk als «geistiges Werk mit individuellem Charakter» charakterisiert bzw. qualifiziert werden (Art. 2 URG). Wann ein solcher individueller Charakter besteht, bemisst sich insbesondere nach Gestaltungshöhe und Originalität, wobei der geistige Inhalt letztlich «in einer sinnlich greifbaren Objektivierung Ausdruck gefunden haben» muss (vgl. «Urheberrecht; hrsg. und kommentiert von Manfred Rehbinder; Zürich 2001; S. 32»).
Bei der Appropriation Art werden meist eines oder mehrere bestehende Bilder zu einem neuen Werk kombiniert oder in einen neuen Kontext gestellt. Ist damit das notwendige Kriterium der Originalität zur Erlangung urheberrechtlichen Schutzes schon erfüllt, beziehungsweise ab wann ist es erfüllt? Und ist hier immer noch die Einwilligung der ursprünglichen Urheber der dem neuen Werk zugrundeliegenden Bilder nötig?
Die Originalität bemisst sich nach der Eigenständigkeit und dem individuellen Gepräge eines Bildes. Auf den ersten Blick könnte nun ja jedem Werk der Appropriation Art die Originalität abgesprochen werden. Denn schliesslich bedient es sich ja «lediglich» eines schon existenten Werkes, sei dies partiell, als ganzes oder in Serie. Die schöpferische Leistung und damit Basis für die Originalität muss bei Werken der Appropriation Art demzufolge im Konzeptionellen gesucht bzw. gefunden werden. Der dem bestehenden Werk neu zugrundeliegende Kontext ist Originalitätssubstrat des neu geschaffenen Werkes.
Wie viele andere Rechtsordnungen, kennt auch das Schweizer Urheberrecht das sogenannte Werk zweiter Hand und hält in Art. 3 URG kurz fest, was es mit diesem auf sich hat:
Art. 3 Werke zweiter Hand
1 Geistige Schöpfungen mit individuellem Charakter, die unter Verwendung bestehender Werke so geschaffen werden, dass die verwendeten Werke in ihrem individuellen Charakter erkennbar bleiben, sind Werke zweiter Hand.
2 (…)
3 Werke zweiter Hand sind selbständig geschützt.
4 Der Schutz der verwendeten Werke bleibt vorbehalten.
Da das neu geschaffene Werk tatsächlich unter Verwendung eines – oder gar mehrer – bereits bestehenden Werkes geschaffen wurde, dieses zugrundeliegende Werk meist sogar in seiner Gesamtheit und damit dem individuellen Charakter erkennbar bleibt, sind Werke der Appropriation Art tatächlich in ihrer Mehrzahl jeweils als Werke zweiter Hand i.S.v. URG 3 zu qualifizieren. Oder?
Auf den ersten Blick ja, doch leider falsch! Denn dem Aneignungskünstler liegt in der Regel eben genau nicht daran, den individuellen Charakter des Basiswerkes zu erhalten, vielmehr bedient er sich am Basiswerk, um eine eigenes künstlerisches Statement zu machen. Dies meist ohne Einholen einer Lizenz für die Verwendung des Basiswerks, wobei sich gerade Werke zweiter Hand i.d.R. dadurch auszeichnen, dass ihnen eine Lizenz zugrundeliegt.
In der Schweiz ist im Vergleich zu den USA das Zitatrecht relativ eng gefasst. Art. 25 URG hält fest:
«Veröffentlichte Werke dürfen zitiert werden, wenn das Zitat zur Erläuterung, als Hinweis oder zur Veranschaulichung dient und der Umfang des Zitats durch diesen Zweck gerechtfertigt ist.
Das Zitat als solches und die Quelle müssen bezeichnet werden. Wird in der Quelle auf die Urheberschaft hingewiesen, so ist diese ebenfalls anzugeben.»
Während in der Literatur das Zitieren ohne Schwierigkeit im Rahmen des Gesetzes möglich ist, ist der Fall bei Werken der bildenden Kunst etwas schwieriger gelagert. Hier ergibt sich sozusagen der «Spezialfall Bildzitat». Denn die Rechtmässigkeit des Zitierens von Bildern oder Ausschnitten von Werken der bildenden Kunst ist umstritten. Gemäss ProLitteris, der Schweizer Verwertungsgesellschaft für Literatur und bildende Kunst sind Bildzitate unzulässig, weil ein Zitat nur eine ausschnittweise Wiedergabe sein kann. Im Rahmen künstlerischer Freiheit kann diese Position aber wohl als zu rigide betrachtet werden.
Allerdings: wenn das Bild in seiner Gesamtheit zitiert wird, besteht eine unzulässige Verletzungshandlung, da hierdurch das Gebot der Angemessenheit verletzt wird. Denn das Zitatrecht soll – wie im Gesetzestext oben bereits ausgeführt – lediglich «zur Erläuterung, als Hinweis oder zur Veranschaulichung» dienen und verankert zudem die Erfordernis der Quellenangabe. All dies scheint nicht geeignet, das Zitatrecht als Basisrecht für das dem neu geschaffenen Werk zugrundeliegende Ursprungswerk herbeizuziehen.
Warum, so fragt man sich nach der Lektüre der beiden Artikel, gibt es denn nicht mehr Streitfälle vor Gericht bei Werken der Appropriation Art? Die Erklärung liegt wohl in der Tatsache, dass das Basiswerk bzgl. seiner wirtschaftlichen Verwertungsrechte durch das neu geschaffene Werk nicht herabgesetzt wird. So könnte in nicht wenigen Fällen wohl rein formaljuristisch eine Verletzungshandlunng bei der Appropriation Art bejaht werden. Dies interessiert aber die Künstler der Ursprungsbilder nicht oder nur am Rand. Immerhin profitieren sie sogar durch die Aneignung insofern, als die Handlung der Appropriation einen gewissen «Publicity-Effekt» mit sich bringt.
Anders als bei der Erklärung gemäss Wikipedia (s. Teil I der urheberrechtlichen Würdigung vom 16.11.2015) handelt es sich beim Nicht-Tangieren von Wert und materieller Existenz des Basiswerks also nicht um das Entscheidungskriterium pro oder contra Qualifikation als Verletzungshandlung, sondern um den Erklärungsansatz für das Ausbleiben von Klagen.
Würden denn vermehrt Streitfälle hinsichtlich Verwendung von Basiswerken in Werken der Appropriation Art vor Gericht ausgetragen, so wären deren Verlauf, die Urteilsbegründung sowie die Quote der Stattgabe der Klägerbegehren äusserst interessant. In Ermangelung von bleibt uns aus rechtlicher Sicht die Spekulation. Immerhin dürfen wir uns derzeit an den Werken im Museum für Gegenwartskunst in Basel freuen.
«Wo hört Kunst auf und fängt Diebstahl an?» in: SRF Kultur > Kunst (online) vom Dienstag, 20.10.2015
«Deine Kunst ist meine Kunst» in: www.nzz.ch vom 10.10.2009
Lesen Sie in Kürze einige Erläuterungen zu den verwendeten Illustrationsbildern von Teil I und Teil II der Beiträge zur Appropriation Art.